Marie Jeromin

Marie Walendzik wurde am 15. Februar 1859 als Tochter von Ludwig und Julie Walendzik, geborene Konstanty, in Klein Pasken geboren. Die Familien ihrer Eltern – Walendzik und Konstanty – lebten beide seit mindestens Ende des 18. Jahrhunderts in Klein Pasken, gehörten aber nicht zu den wohlhabenden Bewohnern des Dorfes.[1] Außer Marie erreichten noch weitere Geschwister das Erwachsenenalter: ihr Bruder Gottlieb und ihre Schwester Charlotte. Ein jüngerer Bruder namens Carl erhielt zwar auch einen Teil des Erbes, seine Spur verliert sich aber, bevor er erwachsen wurde.[2] Möglicherweise verließ er Pasken oder starb.

Mit Anfang 20 bekam Marie einen unehelichen Sohn, Johann. Wer Johanns Vater war, ist nicht überliefert.[3] 1885 gingen Maries Eltern aufs Altenteil und teilten ihren Besitz zwischen Gottlieb und Marie auf. Marie musste dabei deutlich mehr für den Unterhalt der Eltern zahlen als ihr Bruder.[4] Der Grund dafür war wahrscheinlich, dass Marie kurz danach Emil Jeromin heiratete, einen wohlhabenden Landwirt aus Klein Pasken. Er hatte Marie zuvor schon Geld geliehen, mit dem sie das Grundstück ihrer Eltern kaufen konnte.[5] Die beiden heirateten wahrscheinlich 1886.[6]

Maries unehelicher Sohn Johann starb im Jahr darauf im Alter von nur vier Jahren.[7] Zusammen mit Emil bekam sie noch sieben weitere Kinder, von denen vier jedoch früh starben.[8] Bei der Geburt des letzten Kindes – ihrer Tochter Martha – war Marie Jeromin schon 46 Jahre alt.[9] Drei ihrer Kinder, die Söhne Gustav und Gottlieb und die Tochter Frieda, überlebten die Kindheit.[10] Maries Mutter Julie starb 1891 [11], ihr Vater Ludwig 1899.[12]

HIER RUHT IN GOTT

UNSRE LIEBE MUTTER

MARIE

JEROMIN

GB. WALENDZIK

* 15.02.1859

† 14.10.1934.

RUHE SANFT!

Copyright: Daniel Raboldt

Im Jahr 1912 baute die Familie ein neues Haus. Es hatte ein Ziegeldach [13] und war nicht mehr wie zuvor in Masuren üblich mit Stroh gedeckt. Das Haus hatte drei Zimmer und eine Küche.[14] Neun Jahre später gingen Marie und Emil aufs Altenteil. Ihr Sohn Gustav übernahm Haus und Hof, Gottlieb und die noch minderjährige Frieda erhielten jeweils 5000 Mark Elternerbteil.[15] Marie und Emil ließen sich garantieren, dass sie für den Rest ihres Lebens im Haus wohnen bleiben durften und von Gustav kostenlos Kleidung, Heizung, Licht und ärztliche Behandlung bekamen. Dazu kam ein Taschengeld von vier Mark pro Tag und Person, das Recht kostenlos am Tisch der Familie zu essen und ein kostenloses Begräbnis. Für den Fall, dass die beiden ihren eigenen Haushalt führen wollten, wären sie weiter mit Lebensmitteln versorgt worden – unter anderem durch eine eiserne Kuh.[16] Hätten sie das Grundstück verlassen, hätte Gustav nicht nur die Lebensmittel in einem Umkreis von einem Kilometer anliefern müssen, Marie und Emil hätten auch eine Entschädigung in Höhe von 15.000 Mark erhalten.[17]

Wie viele Masuren setzte Emil Jeromin große Hoffnungen in die NSDAP.[18] Immer wieder richtete er Eingaben an die Partei in dem Versuch, seine durch die Inflation verlorenen Ersparnisse zurückzuerhalten.[19] Marie und Emil blieben beide bis zu ihrem Tod bei Gustav im Haus wohnen, obwohl es dort mit dem Einzug ihrer Schwiegertochter Anna und den Geburten von fünf Enkelkindern bis 1933 und drei weiteren bis 1942 eng wurde.[20]

Am 14. Oktober 1934 starb Marie Jeromin im Alter von 75 Jahren; Emil starb fünf Jahre später am 16. Dezember 1939.[21] Auf Maries Grab steht einer der wenigen erhaltenen Grabsteine in Klein Pasken. Die Inschrift ist auf Deutsch – obwohl Marie ihr Leben lang nur Masurisch gesprochen hatte.[22]

 


[1] Vgl. zum Beispiel Grundakten des Amtsgerichts Johannisburg, Archiwum Państwowe w Olsztynie (APO) 295/4341.

[2] Vgl. APO 295/2782, Bl. 11f. und APO 295/2783, S. 6 – 8.

[3] Vgl. Sterbeverzeichniss [sic], Standesamt zu Gehsen, APO 42/1745/1, <http://olsztyn.ap.gov.pl/baza/skany.php?z=1745&s=1> (zuletzt aufgerufen am 27.02.2021), Bl.120f.

[4] Vgl. APO 295/2782, Bl. 12f. und APO 295/2783, Bl. 6 – 8.

[5] Vgl. APO 295/2782, Bl. 15.

[6] Vgl. ebd., Bl. 27. Emil Jeromin ließ sich 1906 als Miteigentümer vom Grundstück Klein Pasken 8 eintragen und erklärte, dass er seit 20 Jahren mit Marie Walendzik verheiratet sei. Vgl. auch APO 42/1745/1, Bl.120, 1887 war Marie schon mit Emil verheiratet, als sie das Grundstück der Eltern Ende 1885 übernahm, jedoch noch nicht.

[7] Vgl. APO 42/1745/1, Bl. 120f.

[8] Tochter Auguste Jeromin starb am 26.02.1893 im Alter von 1 Jahr und 10 Monaten, vgl. ebd., Bl. 202f. Sohn Friedrich Jeromin starb am 26.11.1897 mit anderthalb Jahren, vgl. ebd., Bl. 256f. Nur neun Tage später starb auch ihr Sohn Carl Jeromin im Alter von 4 Jahren, vgl. ebd., Bl. 256f. Martha Jeromin war das letzte Kind der beiden, sie starb am 04.01.1906 mit dreieinhalb Monaten. Vgl. ebd., Bl. 324f.

[9] Vgl. ebd., Bl. 324f.

[10] Vgl. APO 295/2782, Bl. 34f.

[11] Vgl. ebd., Bl. 24.

[12] Vgl. ebd., Bl. 25.

[13] Vgl. Lastenausgleichsakten Gustav Jeromin, Bundesarchiv Lastenausgleichsarchiv (BA LAA), ZLA 1/5699335.

[14] Vgl. ebd.

[15] Vgl. APO 295/2782, Bl. 34f.

[16] Eine eiserne Kuh oder anderes eisernes Vieh waren Tiere, die immer vorhanden und im Todesfall ersetzt werden mussten. Gustav versprach also, seinen Eltern für den Rest ihres Lebens immer eine Kuh zur Verfügung zu stellen. Vgl. Deutsches Rechtswörterbuch Online, Eintrag Eisenkuh und die verwandten Einträge: <https://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw-cgi/zeige?index=lemmata&term=eisenkuh#Eisenkuh> (zuletzt aufgerufen am 10.07.2021). Eiserne Tiere waren nicht selten Bestandteil des Ausgedinges für Altenteiler, vgl. zum Beispiel Ein-trag Wilken, Grab Nr. 22, Auguste und Gottlieb Gratzik und Karl Brunner: Ostdeutsche Volkskunde, Leipzig 1925, S. 36.

[17] Wenn das Grundstück verkauft worden wäre, hätten die beiden ebenfalls eine Entschädigung bekommen, vgl. APO 295/2782, Bl. 34f.

[18] Vgl. Andreas Kossert: Masuren. Ostpreußens vergessener Süden, 5. Auflage, München 2006, S. 299, S. 301 – 303.

[19] Vgl. APO 295/2782, Bl. 45.

[20] Vgl. Namensliste Pasken, BA LAA OSTDOK 3, Nr. 150, Bl. 10.

[21] Vgl. APO 295/2782, Bl. 42 und APO 42/1745/1, Bl. 532f.

[22] Vgl. zum Beispiel APO 295/2782, Bl. 11f., Bl. 34.