Auguste / Gottlieb Gratzik

Hier ruhen in Gott

unsere lieben Eltern

Auguste      Gottlieb

Gratzik       Gratzik

* 11.9.1868     * 7.4.1867

† 26.2.1939      † 24.3.1916

Müh und Arbeit war Euer Leben

Ruhe hat Euch Gott gegeben [1]

Copyright: Sabine Grabowski

Das Doppelgrab von Auguste und Gottlieb Gratzik [2] liegt in der Mitte des Friedhofs. Es besteht aus zwei steinernen Grabeinfassungen mit einem gemeinsamen Grabstein. Die Inschrift ist nur noch schlecht lesbar.

Gottlieb Gratzik war Landwirt [3], er besaß mehrere Grundstücke in Wilken.[4] Zwei dieser Grundstücke erhielt er im Gegenzug dafür, dass er für das Ausgedinge der Vorbesitzer sorgte. Das bedeutet, dass er sich verpflichtete, die Vorbesitzer bis an ihr Lebensende zu versorgen.[5] Solche Vereinbarungen wurden häufig zwischen Eltern und ihren Kindern getroffen, wenn diese den elterlichen Hof übernahmen. Da Gottlieb Gratzik es sich leisten konnte, zwei Ausgedinge zu übernehmen, muss er wohlhabend gewesen sein.

Zusammen mit seiner Frau Auguste, geborene Rattay, hatte Gottlieb zwischen 1893 und 1909 fünf Kinder: Ida, Gottlieb, Anna, Rudolf und Berta.[6] Im Ersten Weltkrieg diente der älteste Sohn Gottlieb im Reserve-Infanterie Regiment 18 als Musketier. Im Juni 1915 wurde er verwundet [7], überlebte den Krieg jedoch. 

Neun Monate später starb dagegen Gottlieb Gratzik senior im Alter von nur 48 Jahren. Er wurde von seiner Ehefrau Auguste und den gemeinsamen Kindern beerbt. Auguste Gratzik vergrößerte den Grundbesitz der Familie, sie kaufte nach Gottliebs Tod ein weiteres Grundstück.[8] 1932 überschrieb sie den Besitz an ihren jüngsten Sohn Rudolf. Bis auf die jüngste Tochter Berta waren die anderen Kinder wirtschaftlich versorgt: Ida hatte den Nachbarn Gustav Losch [9] aus Wilken geheiratet, Gottlieb junior gehörte Land in Rostken und Anna war verheiratet mit Johann Skowronnek aus Pilchen. Rudolf musste seine Geschwister auszahlen und ver-pflichtete sich, für Berta eine standesgemäße Hochzeit auszurichten – inklusive Bewirtung der Gäste und einer Schlafzimmereinrichtung als Aussteuer für seine Schwester. Auguste ließ auch ihr Ausgedinge detailliert regeln. Rudolf Gratzik versicherte, seine Mutter für den Rest ihres Lebens auf dem Grundstück standesgemäß zu unterhalten. Das bedeutete nicht nur „freie Wäsche, Bekleidung [und] Pflege in Krankheitsfällen“ [10], Auguste bekam auch eigene Zimmer im Haus der Familie, zwölf kostenlose Fahrten in der Umgebung im Jahr und pro Monat 5 Goldmark Taschengeld. Rudolf verpflichtete sich, nach dem Tod seiner Mutter für ihr Begräbnis aufzukommen. Bis dahin wurde sie darüber hinaus auch am Tisch der Familie unterhalten und bekam von ihrem Sohn „eine eiserne Kuh und fünf eiserne Hühner“.[11] Falls Auguste lieber einen eigenen Haushalt führen wollte, statt am Tisch ihres Sohnes versorgt zu werden, hätte Rudolf ihr jeden Tag einen Liter Milch zur Verfügung stellen müssen – sollte ihre eiserne Kuh keine geben. Dazu wären pro Jahr ein Mastschwein, fünf Gänse, 30 Zentner Kartoffeln, vier Mal im Jahr 10 Zentner Roggen, zwei Zentner Gerste und ein Zentner Weizenmehl gekommen. Die Hälfte der Ernte des Obstgartens, 10 Raummeter Holz zum Heizen und pro Jahr 30 Goldmark für Kleidung hätten ihr darüber hinaus zugestanden. Zum Kochen sollte sie in diesem Fall auch einen eigenen Herd bekommen.[12]

Wahrscheinlich nur kurz nach der Übernahme des elterlichen Hofes in Wilken heiratete Rudolf Ida Ruschinski aus Grodzisko [13]. Die beiden bekamen in den Jahren von 1934 bis 1938 drei Kinder: Irmgard, Rita und Georg.[14] Ida brachte eine Maschinenstrickerei mit in die Ehe, die sie vor der Hochzeit gekauft hatte. In den Wintermonaten, in denen die Landwirtschaft keinen Gewinn abwarf, hatte die Familie so zwei weitere Einkünfte: Rudolf hatte einen Lohnfuhrbetrieb und fuhr zum Beispiel Holz zu einem der nahegelegenen Sägewerke.[15] Ida verkaufte Kurz- und Weißwaren und konnte im Winter mehrere junge Frauen in ihrer Maschinenstrickerei beschäftigen. Damit konnte sie gut 1000 Reichsmark im Jahr verdienen.[16] 

Ende Februar 1939 starb Auguste Gratzik. Sie wurde neben ihrem Mann Gottlieb beigesetzt. Als im Januar 1945 der Kreis Johannisburg evakuiert wurde, musste auch Familie Gratzik vor der heranrückenden Front fliehen. Die Familie wurde mit einigen anderen schon bald vom Haupttreck aus Wilken getrennt. In Steegen [17], nachdem sie das zugefrorene Frische Haff überquert hatten, trafen sie wieder auf den Rest der Wilkener. Zusammen flohen sie bis nach Holstein, wo sich der Treck Ende März 1945 nach mehr als zwei Monaten auf der Flucht auflöste.[18] Familie Gratzik fand schließlich ein neues Zuhause in Nordhessen.[19]

 


[1] Vgl. Georg Büschges u.a.: Wilken/Wilkenhof – Dorfgeschichten eines Friedhofs, in: Znad Pisy. Wydawnictwo poświęcone ziemi piskiej 27 (2021) – in Druck, o.S.

[2] Die Schreibweise des Nachnamens änderte sich. In den Grundakten aus Wilken schrieb sich die Familie Gratzik, in den Anträgen auf Lastenausgleich nach der Flucht verwendeten sie die Schreibweise Gratzig.

[3] Vgl. Grundakten des Amtsgerichts Johannisburg, Archiwum Państwowe w Olsztynie (APO) 295/4279, Bl. 44.

[4] Vgl. ebd., Bl. 40.

[5] Vgl. ebd., Bl. 41.

[6] Vgl. ebd., Bl. 38.

[7] Vgl. Verlustlisten Erster Weltkrieg, Eintrag Gottlieb Gratzik: <http://des.genealogy.net/search/show/247846> (zuletzt aufgerufen am 21.05.2021).

[8] Vgl. APO 295/4279, Bl. 40.

[9] Vgl. ebd., Handzeichnung o.S.

[10] Ebd., Bl. 41.

[11] Ebd. Eine eiserne Kuh oder eisernes Vieh waren Tiere, die immer vorhanden sein mussten und falls sie starben, ersetzt werden mussten. Rudolf verpflichtete sich also, seiner Mutter für den Rest ihres Lebens eine Kuh und fünf Hühner zur Verfügung zu stellen. Vgl. Deutsches Rechtswörterbuch Online, Eintrag Eisenkuh und die verwandten Einträge: <https://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw-cgi/zeige?index=lemmata&term=eisenkuh#Eisenkuh> (zuletzt aufgerufen am 10.07.2021). Diese eisernen Tiere als Bestandteil des Ausgedinges für Altenteiler waren relativ häufig und zum Beispiel auch im benachbarten Ermland weit verbreitet. Vgl. Karl Brunner: Ostdeutsche Volkskunde, Leipzig 1925, S. 36.

[12] Für das Ausgedinge und die Lebensumstände der Geschwister, vgl. APO 295/4279, Bl. 40 – 43.

[13] Deutsch: Burgdorf. Vgl. Lastenausgleichsakten Ida Gratzik, Bundesarchiv Lastenausgleichsarchiv (BA LAA) ZLA 1/13366713, Bl. 1. Ein Mann namens Ruschinski war der Schulverbandsvorsteher des Dorfes, Idas Familie scheint in Grodzisko angesehen gewesen zu sein. Vgl. dazu Emil Johannes Guttzeit (Hg.): Der Kreis Johannisburg. Ein ostpreußisches Heimatbuch (= Ostdeutsche Beiträge aus dem Göttinger Arbeitskreis, Band 31), Würzburg 1964, S. 262f.

[14] Vgl. Lastenausgleichsakten Rudolf Gratzik, BA LAA ZLA 1/13363425, Bl. 3.

[15] Vgl. Ebd., Bl. 10.

[16] Vgl. Lastenausgleichsakten Ida Gratzig, BA LAA ZLA 1/13366713, Bl. 6f., Bl. 72. – Vgl. Büschges u.a.: Wilken/Wilkenhof – in Druck, o.S.

[17] Polnisch: Stegna.

[18] Vgl. Elma Rattay: …denn wir waren nicht zu Hause… Tagebuch der Flucht 1945 von Wilkenhof/Kreis Johan-nisburg in Ostpreußen nach Holstein, http://www.staaks.de/index.php?1, zuletzt aufgerufen am 24.05.2021. Direktlink zum Tagebuch nicht möglich, es ist in der Navigation oben links unter „Wilkenhof 1945: Tagebuch der Flucht aus Masuren / Ostpreußen“ zu finden. Ebenfalls abgedruckt in Gerhard Wydra (Hg.): Wilken. Die Geschichte seiner Geburt und seines Todes sowie Tatsachen in Aquarellen, Gedichten, Geschichten und Sagen aus dem Kreis Johannisburg, [Hamm an der Sieg] 1985, S. 14 – 28.

[19] Vgl. Lastenausgleichsakten Ida Gratzig, BA LAA ZLA 1/13366713, Bl. 4.